Kongress: 10 Jahre RPG 1

Monika Zumbrunn, Leiterin Kommunikation EspaceSuisse
Donnerstag, 27.06.2024
«Verdichtung, Vernetzung, Vielfalt» – mit diesen drei V lässt sich die 10-Jahres-Bilanz von RPG 1 am Kongress von EspaceSuisse sinnig bündeln. Die 1. Revisionsetappe des Raumplanungsgesetz (RPG 1) ist in den Gemeinden angekommen, die (qualitative) Umsetzung braucht aber noch mehr Zeit.
Diskussion und Vernetzung machen den Kongress von EspaceSuisse aus. (Foto: Patrik Kummer, EspaceSuisse)

Über 200 Vertreterinnen und Vertreter von Gemeinden, Städten, Kantonen und Bund, von Planungs- und Architekturbüros, Immobilienfirmen und weiteren Institutionen kamen am 14. Juni nach Solothurn, um gemeinsam das 10-Jahres-Jubiläum von RPG 1 zu reflektieren.

Den Auftakt zum Kongress machte die Direktorin des Bundesamts für Raumentwicklung (ARE). Maria Lezzi jonglierte mit Zahlen zum Stand der Umsetzung von RPG 1, das die Siedlungsentwicklung nach innen lenken will. So haben heute 43 Prozent aller Gemeinden eine RPG-konforme Nutzungsplanung. Die Umsetzung sei voll am Laufen, resümierte die ARE-Direktorin, «jedoch langsamer als erwartet».

Bilanz der Gemeinden, Städten und Kantone

«Es braucht mehr Zeit», bestätigte Christoph Niederberger, Direktor des Schweizerischen Gemeindeverbandes. 10 Jahre seien in der Raumplanung nicht sehr lange. Klar sei aber: «Das Raumplanungsgesetz spielt zur Bewältigung des rasanten Wachstums eine Schlüsselrolle», ist Niederberger überzeugt. Der Vertreter der Städte Martin Flügel schwärmte von der Aufbruchstimmung vor 10 Jahren und landete über eine Kurve zum «Dichtestress» schliesslich bei der «Innenentwicklung als Chance». Der Präsident des Schweizerischen Städteverbandes erinnerte daran, dass Siedlungsentwicklung im Bestand teurer sei als auf der grünen Wiese. Für eine hochwertige Innenentwicklung seien deshalb die Mittel aus dem Mehrwertausgleich auch bei Auf- und Umzonungen unentbehrlich.

Noch könnten nicht alle Auswirkungen von RPG 1 gemessen werden, stellte Giancarla Papi, Präsidentin der Schweizerischen Kantonsplanerkonferenz (KPK) aus dem Kanton Freiburg, fest. Während der Kongress auf lebenswerte (Wohn-)Räume fokussierte, machte die KPK-Präsidentin auch einen Abstecher zu den Arbeitszonen. Deren Dimensionierung könne nicht mehr auf kommunaler Ebene erfolgen. Einige Kantone hätten deshalb ein gemeinsames Instrument für Regionen und Kantonen zur Arbeitszonenbewirtschaftung entwickelt.

Gerechte Raumplanung

Ausser Programm überraschte Tim Van Puyenbroeck mit seinem engagierten Plädoyer für eine gerechte Raumplanung. Der Urbanist und Stadtsoziologe, der beim KPK-Jubiläum vor zwei Jahren in der Gruppe der «jungen Planer» mitarbeitete, kritisierte die bestehenden Systemverhältnisse. Die Raumplanung stehe in der Pflicht, für die Gesellschaft einzustehen und nicht für Einzelinteressen. Diese Forderung führte er in der nachfolgenden Podiumsdiskussion weiter aus. Die Raumplanung könne das System zwar nicht umwälzen, aber punktuell eingreifen. «Wir nehmen gewisse Verhältnisse zu früh als systembedingt hin», sagte Tim Van Puyenbroeck und zielte dabei unter anderem auf die Partizipation, die noch zu viele Bevölkerungsschichten aussen vorlasse. Darüber war man sich auf dem Podium einig, und doch herrschte eine gewisse Ratlosigkeit, wie sich dies ändern liesse. Der Präsident des Städteverbandes Anders Stokholm gab als Stadtpräsident von Frauenfeld TG seinen eigenen Lösungsansatz zum Besten: inhaltlich auf die Betroffenheit setzen, bei den Kanälen möglichst breit fahren, also Informationen online und auf Papier zur Verfügung stellen, und grosse Plakate überall in der Stadt seien ebenfalls hilfreich.

Auch eine breit abgestützte Mitwirkung der Bevölkerung schützt allerdings nicht unbedingt davor, dass Innenentwicklungsprojekte scheitern. Der Ursachen gibt es viele: keine qualitätsvollen Projekte, (zu) lange Verfahren, allgemeine Wachstumsmüdigkeit oder der gefürchtete NIMBY-Effekt («not in my backyard», also nicht in meinem Garten). Die Partikularinteressen bei der Innenentwicklung seien problematisch, erklärte Jean-François Steiert, Vize-Präsident der Bau-, Planungs- und Umweltdirektoren-Konferenz (BPUK). «Siedlungsqualität hilft gegen den NIMBY-Effekt», ist der Baudirektor des Kantons Freiburg überzeugt. Als Hebel rät er zum Dialog mit den Gemeinden und der Bevölkerung. Sandra Hess, Stadtpräsidentin von Nidau BE und Vorstandsmitglied des Gemeindeverbandes, empfiehlt, nicht allzu viel auf einmal zu wollen. «Wir sollten eine Vorstellung haben, wohin wir wollen, aber dann Schritt für Schritt vorangehen.»

Speed-Dating im Landhaus

Nach dem inhaltlich nahrhaften Vormittag – und dem Stehlunch am Mittag – ging es am Nachmittag mit verschiedenen Workshops weiter. Aufgeteilt in Gruppen nach der räumlichen Gliederung von Gemeinden diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die bisherige Umsetzung von RPG 1 und aktuelle Herausforderungen. Was beim Workshop «Grosse urbane Räume» als «Diskussion der Botschaften im Speed-Dating» angekündigt war, stellte sich als kritisches Nachdenken über verschiedene Positionen heraus – zum Beispiel zum Verkehrsraum. Die wichtigsten Erkenntnisse aus allen vier Workshops:

  • RPG 1 funktioniert;
  • Verdichtung ist notwendig;
  • mehr Qualität einfordern;
  • Prozesse und Abläufe transparent gestalten;
  • Prozesse und Abläufe dauern zu lange.

Bemerkenswert ist auch, dass in einem Workshop («ländliche und touristisch geprägte Gemeinden») die Wichtigkeit von klaren gesetzlichen Grundlagen betont wurde, während in einem anderen («kleine und mittelgrosse Städte/Agglomerationsgemeinden») Mut gemacht wurde, rechtliche Spielräume als Chance zu nutzen und nicht als Problem zu sehen.

Die ebenfalls in einem Workshop diskutierte Position «Wir brauchen Verdichtung, Vernetzung und Vielfalt» lässt sich durchaus zum Fazit abrunden, das EspaceSuisse-Direktor Damian Jerjen zum Abschluss zog: Innenentwicklung ist heute eine Tatsache. Lebenswerte Räume lassen sich aber nur gemeinsam schaffen unter Beteiligung vieler Akteure und Disziplinen – in Kokreation. Und unter Berücksichtigung von sozialen Aspekten, denn Raumplanung ist mehr als planen, wenn wir sie gross denken.

Ausgewählte juristische Erkenntnisse

Die beiden Juristinnen von EspaceSuisse, Sonia Blind und Barbara Jud, stellten am Kongress relevante Bundesgerichtsentscheide im Zusammenhang mit RPG 1 vor. Thematisch ging es um die Nutzungsplanung, Siedlungsqualität, Baulandmobilisierung, den Mehrwertausgleich, die materielle Enteignung und das Verfahrensrecht. Als Fazit zeigt sich, dass das Bundesgericht seine Arbeit getan und währen der letzten 10 Jahre eine erkennbare Linie verfolgt habe, nämlich eine massvolle Bodennutzung und der Trennungsgrundsatz von Bau- und Nichtbaugebiet. 

Im September 2024 publiziert EspaceSuisse eine Spezialpublikation zur «Rechtsprechung RPG 1» als Beilage des Fachmagazins Inforaum, das an die Mitglieder von EspaceSuisse verschickt wird. Das Dokument wird als PDF auch online abrufbar sein; weitere Informationen folgen.

Erkenntnisse aus den Workshops

Je eine Zusammenfassung der Diskussionen und Erkenntnissen aus den vier Workshops stehen als PDF-Dokumente zur Verfügung (siehe unten).